Archive für den Monat: April, 2021

immer wieder wäldchen in meinem leben, zuerst das vor unserem block am rande der siedlung, das die dahinterliegende landstraße verdeckte, den straßengraben, wir zogen unsere wege hindurch, gruben es auf, versteckten uns, im kopfe noch der kriege wahn –

die lücke im zaun, das grün dahinter, es zirpte immerzu, nächtens, lockte zu diesem übersetzlichen gang, entlang des zauns, wo eine wache dich, wenn sie ihn nicht verpasste, der geräusche nachklang – war das ein vogel, eine unke, eule uhu oder was unterm schuh? Der auftrieb vielleicht, abrieb von solcherlei gedanken –

du bist das nicht, es ist das auge, das diese inneren bilder erzeugt/ du sagst nichts, liegst auf dem bett, mit angezogenen knien und lässt die schatten wandern –

traust deinen schatten nicht mehr, die unvermittelt auftauchen, wo kein grund, dir nicht länger folgen, zerlaufen, sich nicht auf der straße halten, vornüber kippen, anlasslos/ sie sind keine kapitaleigner, ihnen gehört nicht mal, was sie verbergen, alles bleibt temporär, ihr fortdauern eine frage der zeit/ gehörten sie mir, ich borgte dir alle, fällt schatten, fällt licht –

diese alkalischen gerüche von der wäscherei an der f.-straße, gerüche, die mir von kindheit an vertraut, von der siedlung, doch die hiesige liegt an einer asphaltierten fahrbahn, deren belag ausgeblichen über die jahre. Gelegentlich gehe ich sie hinauf, des geruchs wegen, der aus dem souterrain des hauses dringt, einem der wenigen im viertel, dessen verputz nicht erneuert, das vielleicht noch den der fünfziger oder sechziger des letzten jahrhunderts aufträgt, und in dessen poren den ruß, die staubpartikel einer anderen zeit – nie bleib ich stehen, nur eine nase voll dunst und einen seitenblick aufs gemäuer – 

wir reden landschaftlich, in der bäckerei wie in jedem anderen laden, der nicht touristisch, die zungen gehen dahin und mit ihnen die begriffe, an die man sich hält und die in einem selbst eine wandlung erfahren. Ob sächsisch, sorbisch, schwäbisch, pfälzisch, rätoromanisch, der klang macht etwas daraus und formt die landschaften, wie wir sie wahrnehmen. Wir lassen die zunge hinaus und betreten neuland, immer ist es neuland, ganz gleich, ob es beackert, bebaut oder verdorben, umfriedet, gesäumt – es soll territorien geben, im schatten des hauses, die du noch nie aufgesucht. Die zungen sprechen: erosion, aerosole, licht, wasser, trockenheit, vom untragbaren bis zum unerträglichen, hier, wir streben immer nur fort, aus den gründen, mit jedem zungenschlag, von dem wir elektrisiert. Gehst durch die landschaften und erinnerst dich an deren beschreibung, erzählung, an worte, die von gestern, an den nießnutzer- und inbesitznehmerblick, habenichts von allem –

*inspiriert vom Titel „Landzungen“ des Festival »Und seitab liegt die Stadt«: Landschaft, Tag 1 (LCB Berlin, April 2021)

manchmal die Frage, ob nicht doch das Erzählen von Geschichten der Kern der Literatur, trotz ihrer Rückbindungen zu Liturgie und Formel, die etwas Verstetigtes darstellen, zu aller erst, und ich mit meiner Aversion gegenüber Geschichten (von mir geschriebenen wohlgemerkt), auf dem Holzweg bin? Will ich Unerlaubte Entfernung und Berliner Tatsachen rückblickend charakterisieren, beides Erzählungen, so erzeugen sie eher den Eindruck einer Komposition von Bildern – zwar findet sich in den Texten so etwas wie eine Rahmenhandlung, eine Entwicklung, doch lediglich in Andeutungen, in denen die Linie, der Erzählstrang (mir wird im Notieren bewusst, wie unbeholfen diese Begrifflichkeiten sind, sie vermögen einen Prozess nur zu umschreiben) immer mal wieder aufscheinen. Diese Prosa würde ich vielmehr als eine Prozession von Sprachbildern bezeichnen, oder als eine Collage …

[Juni 2016]

„wir werden nicht alt, hier“, sagte er, „wo selbst die immortellen sich wegdrehen und vertrocknen, und unser rotieren im orbit, die zukunft ein salz auf der zunge, das unmerklich zergangen, längst“ –

du wirst einen buckel bekommen warnten mutter vater staat, wenn ich gedankenverloren mit gekrümmten rücken am tisch oder in der schulbank hockte, nur für augenblicke; den buckel, unreparierbarer haltungsschaden, abonniert wie die zukunft, alte bucklige frauen, das bucklicht männlein wurden nicht als deren vertreter erachtet, man hielt den buckel hin und sich dabei gerade, und dennoch, meine wirbelsäule hatte von geburt an eine verkrümmung aufgewiesen, weshalb das kind sicherlich kaum belastbar war, das röntgenbild offerierte einen s-förmigen bogen, ein geradewegs schloß das aus, ebenso das rundlaufen, trotz übungen auf der stange, wöchentlich, das subjekt landete im gesundheitswesen, elfter dezember, folgerichtig … Drück’ die kniee durch, halt dich grade, da war nicht viel zu machen, stocksteif die konvention, einen stock ins hemd geschoben, rücklings, das verhalf zu einer angemessenen haltung, verstockt das kind wie es war, trotz allem, nicht zu gebrauchen, vielleicht weil der stock, der im rücken eingewachsen, ein krummer gewesen war, nicht mehr geradezubiegen, zu richten, wie diese geschichte, es hat sie krummgezogen, verbogen – sich verbiegen, so beteuerte mancher, wolle man nicht, obgleich das zumeist schon geschehen, ungewiß allerdings, in welcher stunde … Haltungsschäden, frühzeitig diagnostiziert, man schloß aufs ganze, lauf- und sprechübungen, parallel betrieben (wie oft es beim orthopäden gesessen, das wort kannte es eher als den begriff orthographie, mit der es auch nicht viel besser bestellt gewesen), und sobald der vogel laut geben konnt’, artikulierten, war es auch nicht das rechte, verkümmert irgendwie bewegungskostüm und nervenapparat, kümmerlich zumindest; wenn nur die grundparameter in ordnung und das ding leidlich funktionierte, sobald das antriebssystem richtig eingestellt war, unter den gegebenen umständen – das ding produzierte in der folge träume, träume von fahrten auf kanälen, blaugrauen fließgewässern, die ufer befestigt, es trieb in einem boot die kanäle hinab, wobei ein ende kaum abzusehen war, weil die gewässer sich wieder und wieder verzweigten, mitten in der stadt, oder in einem gelände, das stadtnah, eingedunkelt vom schattenlaub der bäume, die den lauf flankierten, wo es sich verirrte, und ab und an landete es an einem ufer an, einer seichten stelle, immer derselben, die böschung, eingerückt, im zementfarbenen streckverband – das ding war noch kaum zur sprache gekommen und doch der überzeugung, diese fahrten stellten erinnerungen dar …

[2007, erstveröffetl. in: die horen 228/2007]

z. tritt einen schritt zurück und kippt über die bordsteinkante, hinterrücks – wo hat er bloß seine augen, fragt wer, man kann die doch nicht überall haben, ein anderer, wozu hat er sie überhaupt, ein dritter/ augen auf im strassenverkehr! so der verkehrserziehungsvers, sätze aus mündungen, die fallen nicht schwer, schweben samt der aerosole, schlagen sich nieder, ein salz, das kaum zergeht –