Archive für den Monat: Juli, 2012

abends, wenn die schatten lang, die der pappeln, gleich messern, deren klingen scharf, geschärft vom schotter des weges am rande der siedlung, daß man haltlos von schnitt- zu schnittkante eilte, als gälte es was, als liefe man über glühende kohlen oder auf den braunschwarzen, nach teer riechenden eisenbahnschwellen davon, im halse den schwelgeruch, am schmelzpunkt hochsommerlicher tage, wenn kein luftzug spürbar …

jene spur, der wir folgten, entlang der eisenbahnlinie, direkt neben dem gleis, ein ausgetretener pfad, und jenseits dessen steiniges gelände, überdeckt vom schnee, der zwischen den schwellen schon eingesunken, eine ortschaft war nicht in sicht … Wir bewegten uns ohne geräusch, folgten unserer atemfahne, wundersame vögel auf ihrem kurs, unbeirrbar, in dieser landschaft, in der kaum orientierungspunkte auszumachen waren …

ich erinnere mich: ab und an tischte ich feldblumen auf, der armut im geiste etwas anmut zu verleihen …

und war es vor der zeit, als das kind glaubte, die bezeichnung sträfling leite sich von jenem dicken gelben streifen her, diesem balken, den sie rücklings auf der jacke trugen, die wiederum tiefblau – einmal, anfang der 60er jahre, als das kind gerade das buchstabieren lernte, beobachtete es die sträflinge auf dem gelände diesseits des baches: sie befüllten den sandkasten mit gelbem sand, brachten die wege in ordnung, trugen schotter auf.

Das kind beobachtete das alles, durchs fensterglas, das den blick noch zu schärfen schien: bislang waren diese leute nur auf dem innenhof der haftanstalt jenseits von bach und mauer zu sehen gewesen, so man vom obergeschoß oder dachboden aus hinüber schaute, und gelegentlich hatte man ihre gesichter hinter den vergitterten fenstern entdecken können, blaß, sonderbar entrückt …

Und nun brachten sie den neuen sand und schotter, bestehend aus weiß-bläulich gesprenkeltem gestein mit einschlüssen, die funkelten. Ein gestein, auf dem die kinder sich die knie blutig schlugen, ein ums andere mal, so eines fiel, im spiel, und das sollte oft geschehen, bis das ganze endlich mit einer teerdecke besiegelt wurde. Das kind beobachtete das alles und wußte nicht, weit vor der zeit, daß es dereinst selbst einen streifen auf dem rücken tragen würde …

die glaswolle fanden wir in der senke, die am rande der enklave gelegen, diesseits des baches, ein areal, das manchmal überschwemmt wurde, wenn ein besonders starker guß niederging, oder wir ein paar meter bachabwärts dämme errichtet hatten.

Die senke, überschattet von einer kastanie direkt an der böschung, mußte vor unserer zeit (was hieß das: vor unserer Zeit? Zwei drei jahre bevor wir des laufens und auch zählens mächtig, des erzählens in ansätzen) rege in gebrauch gestanden haben, davon kündeten noch die kaninchenställe, dreietagig, gezimmert aus holz, das nun verwittert, die boxen leer, in die wir manches mal krochen …

Davon kündeten die steinernen zaunspfähle, längs des baches eingelassen in den grund, pfähle, die oben gekrümmt, was von gewissen fotos her vertraut, die auch wir schon zu gesicht bekommen, aufnahmen von lagerzäunen – am anderen ufer ein vorhof der haftanstalt, zum bach hin offen, einer, der anscheinend aufgelassen, in dem gräser wucherten, wir wilde stiefmütterchen fanden.

Und in einer nische der senke also die glaswolle, etwas, das uns eher an zuckerwatte erinnerte, so ungeglättet sie lagerte, zuoberst eines berges von bauschutt, ziegel waren zu erkennen, zersplittertes holz, was noch? Ich habe es vergessen, nur die glaswolle nicht, die zu berühren mich verlangte, wiewohl wir von den eltern gewarnt worden waren, aber zu spät, viel zu spät, unsere finger waren schneller …