Archive für Kategorie: Werkstatt

diese stadt mit dem unaussprechlichen namen, den leuten im eigenheimbau an der ausfallstrasse, dem geruch nach schwarzen krauser, dem morgendlichen bus nach fünf, der ohne halt die hauptroute durchs städtchen nahm, über die brücke, von stadteil a nach z, hinterm glas all die monde, halb- und sichelmonde, vollmonde, nicht von hier, aus dem vollzug, die jalousien und fensterläden der gebäude noch geschlossen, rundfunkgeschäft, herrenausstatter, berufsschule, sportplatz, endstation zentralwerkstatt, jenseits des bahndamms –

es dunkelte, morgens nach sechs, und folgte ein weicher durchdringender regen, aus wolken, die kaum konturiert, eher gleich schwaden nebels … der morgen dunkelt, könnte man schreiben, schon in der heide, und so weiter, was ein ander lied, und den wassern folgen, abschüssige flächen, den rinnstein entlang, kurze zeit diesem rauschen, das etwas beruhigendes hat, dessen baldiges nachlassen einen enttäuscht, man wünschte sich eine stunde lang nur fortgetragen zu werden vom strom, an gewicht zu verlieren, es zu vergessen im dahinschnellen –

[es dunkelt schon in der heide – dies volkslied, dessen ursprünge in das 15./ 16. jahrhundert zurückreichen und das in etlichen varianten überliefert ist, geht mir seit dem morgen nicht aus dem sinn. Ein lied mit brüchen, wendungen, kontrasten, etwa wenn von rosen zu vernehmen ist, von klee, und unvermittelt eine strophe darauf vom tiefen schnee zu frankfurt. Das erzeugt eine gespanntheit und poetisierte athmosphäre, beginnend mit zeilen drei und vier der ersten strophe: Wir haben das Korn geschnitten/ mit unserm blanken Schwert. Wir hören von einer uneingelöst bleibenden liebe (oder auch einer brutal vollzogenen, auf die einige deutungen hinweisen), und gleichzeitig schwingt für mich der kontext von kriegserfahrungen mit, von kriegen, die so zahlreich gewesen, in denen so manche und mancher sein lieb verloren, wie die unschuld, auch so lässt es sich interpretieren, durch oder über die zeiten hinweg, in denen das lied immer wieder erinnert, gesungen worden ist, bis ins 20. jahrhundert. Da sehen wir die blüten in der abenddämmerung und diesen zerstörerischen furor, der zwei nicht zueinander finden lässt, auf wegen, die unpassierbar, lebenswegen, die in verschiedene richtungen weisen und dann nicht mehr zu „halten“ vermögen, nicht mehr „gang-“ oder „lebbar“ erscheinen …]

als analphabetin geriet sie in der pflanzen welt, bei schafgarbe, bärenklau, riesenkerbel lautete ihr gedächtnis aus, vielleicht, dass sie sich unter den dolden auf der wiese als geduldete empfand, und vielmehr mochte sie den wildwuchs von spekulationen – musste man sie alle kennen oder genügte es nicht, drei vier namen zu nennen? Nein, über antennen verfügte sie nicht, aus den wiesen wurden bald brachen, aus den brachen gebrochenes, späterhin, um und um, in der erinnerung zerlegt, noch mancher feldrain kündete davon, und nun wollte sie doch buchstabieren, zum ende hin, eine geschichte erzählen, von wo –

stiefvater, stiefmutter, stiefkind, so klingts in den ohren, tief im winter, and the moon coloured all this singt es, wir mit unserer stiefnatur, wir lächeln nur, es mutet an wie der zwang, an etwas zu glauben, das man nicht kennt – stiefnatur, ich habe nie stiefel besessen, nur einmal welche tragen müssen, in einem anderen leben –

Es erschien so unverfänglich, sich in der schule mit den klassikern der literatur zu befassen. Der blick auf die texte war ein historisierender, man lernte gedichte wie schillers „handschuh“ auswendig und interpretierte die geschichte, die dieses gedicht erzählt, in längst überwundene verhältnisse hinein. Wer begriff schon die explosive wirkung des anspruchs auf würde seitens eines menschen von niederen rang, wie er sich im „handschuh“ formuliert? Wer begriff schon, dass das mit einem machtgefälle zu tun hat, verpackt in den begriff von galanterie, das auch in der sich sozialistisch definierenden gesellschaft strukturbildend sein sollte?

Wir vermochten ein opfer, wie es von den liebenden in kabale und liebe im sinne des klassengeists resp. der klassenschranken gebracht, aus unserem kontext heraus kaum nachzuvollziehen. Oder doch nur, wenn man das allgemeingültige hinter den vorgängen auf der bühne übersetzte, herausfilterte, sichtbar machte. Den allgemeingültigen charakter von haltungen, handlungen, einer gesellschaftlichen konstitution, disposition, sozialer beziehungen, abhängigkeiten … Die allgemeingültigkeit solcher topoi wie macht, interessen, sozialer status, reputation, verrat, vertrauen, korruption … Sie stellen die bezüge her, bilden den bedingungsrahmen, weil sie selbst zeitlos sind d.h. zu jeder zeit den erfahrungshintergrund zu stiften in der lage. Klassenschranken indes waren uns nicht mehr vorstellbar, hier, es sei denn, man hätte sich das geschehen in eine ost-west-beziehung übersetzen, auf den hintergrund einer solchen beziehung projizieren können, so wie es braun nur jahre später mit seiner unvollendeten geschichte praktiziert hat. Nur lag anfang der 70er jahre, trotz einer anderen leseerfahrung, der des geteilten himmels von christa wolf, eine solcher bezug außerhalb meiner vorstellung … und selbst der tod eines gewissen edgar an einer weiteren gesellschaftlichen grenze, der der akzeptanz, selbst sein scheitern ob der ausgrenzung, auch der selbst verantworteten, vermochte meine gedanken nicht auf eine gegenwartsbezogene ebene zu lenken. Um zu fragen, welchen sinn dieses opfer gehabt haben mag. Letztlich der frage nach der sinngebung nachzugehen, die es im moment seiner literarischen rezeption erhält. Wenn ich zu jener zeit überhaupt noch einen gedanken auf dieses trauerspiel verwandte, obgleich mir das gebrachte opfer von anfang an unsinnig, sinnlos erschienen, ungerecht, und es schon deshalb irgendwie in der erinnerung geblieben war … Das kind hatte sich ob der offensichtlichen ungerechtigkeit empört, im eigenen rechtsempfinden gestört gesehen, weil es nicht begreifen konnte, warum sie sich auf diese selbstopferung eingelassen, es überhaupt erst im nachhinein zu einer richtigstellung kommen konnte – das hatte das kind, so lange der stoff durchgenommen, immer wieder aufs neue geplagt …

Daß heutzutage eine art gegenaufklärung statthat, in gestalt von ideologemen, wie sie vertreter*innen neoliberaler positionen betreiben, eine gegenaufklärung, die in alle ebenen der gesellschaft hineinwirkt, den aktuellen mainstream darstellt und bestrebt ist, machtverhältnisse zu verschleiern und zu anonymisieren, statt sie bloß zu legen, stellt eine gefährdung der demokratischen verfasstheit dar. Eine solche entwicklung, während doch schiller, den wir als klassiker ehren, einer von denen gewesen, die alles daran gaben, diese verhältnisse, auch die im binnenraum oberer und aufstrebender schichten transparent zu machen. Wo bleibt der aufklärerische geist eines schiller in einer zeit, in der nicht nur eine loyale einstellung zum grundgesetz zu gebote steht, sondern quasi ein glaubensbekenntnis zum kapitalistisch verfaßten gesellschaftswesen, das, wie so eindrücklich vermittelt wird, nun wirklich ohne alternative sei …

von den zufälligkeiten her schreiben, argumentierte das ich, wobei in diesem begriff der durchaus ambivalente der fälligkeit lungert, von rechnungen etwa, terminen, oder es gar raunt: nun bist du aber fällig! Dennoch: zu schreiben von dem, was man beobachtet, sich ergibt (sich ergeben im sprachverhau), was die sinne erfassen (eiererfassungsstelle, damals in r., erfassungsstelle salzgitter und wen oder was, wird es mir schwindlig, wenn mich eine idee, furcht oder das grausen -), gibt sprache sich verführerisch oder sind wir es, ab und an –

diese sucht neuerdings, fotos zu machen, bilder (ich spreche von mir), kein gang vergeht, ohne dass (gut, dies vergehen, eine minder schwere tatsache, es klingt milde, das urteil; wir vergehen uns an der natur, beispielsweise, was verhängnisvoll, nicht in ihr, oder nur noch selten, wir wissen die wege, doch die witterung hilft uns nicht weiter, es sei denn, wir wittern den schnee, den kommenden, der dort, von wo er herzieht, schon war, am niedergehen, abgehen, wir täuschen uns in den zeitaltern –

Die ersten 17 jahre im treibhaus der enklave, dann fiel ich da heraus, 1971, und wirklich änderte sich da was, obgleich ich auch in r. in einer art schutzhaus, doch im zweiten aufgang des blocks wohnten schon andere d.h. normale leute, ohne präferierte weltanschauung wie in unserm beamtenhaushalt, das hatte ich all die jahre davor nicht resp. nur jenseits des zauns – treibhaus, schutzhaus also, und dann alles aus, raus aus dem haus. Innerhalb von zwei jahren revolutionierte sich alles (1971/72) – andere freunde, fragen, bezüge, zweifel am system, justament in dem moment, da honecker größere freiheiten versprach (künste, literatur),eine neue offenheit, die romangestalten wie edgar wibeau zeitigte, in kurzer zeit … Allein die tatsache, daß ich bis zu meinem auszug keine wohnungen ohne innentoilette und bad gekannt, während ich selbst danach bis in die 90er nur wohnungen haben sollte, die über treppen- oder gemeinschaftsklo und -bad verfügten, wie auch etliche der wohnungen der freunde – nirgendwo in der verwandtschaft hauste man so –

[2016]

wer spricht:

gib deinen anspruch auf und laß geschehen
treiben, austreiben, was in diesem geschehen
verborgen ist, sprich nicht hinein
vergiß dich, laß dich: sein

[dies notierte ich 1992, und der kontext schien ein sehr persönlicher – heute irritieren mich diese zeilen eher …]

 

möglicherweise die erste, an jenem ort, an dem sich ferienhäuser aneinander reihen, die hier morgens kurz nach vier auf die straße blickt, punktuell erhellt von grünlich-weißem laternenlicht, ab und an blinken die wegleuchten in den gärten auf, leuchten weg, was sich bewegt, die fühler von gräsern, zweige eines strauchs, jegliches getier – nichts zu sehen, wer läßt sich auch freiwillig darauf ein zu dieser stunde, außer einer verlorenen seele vielleicht, auf dem weg zu sich selbst, während im radio die stimme der landrut, die nicht trägt …