Archive für den Monat: September, 2012

die apfel- und kirschblüte habe ich als kind wohl nie bewußt wahrgenommen, jedenfalls nicht die auf dem gelände der gärtnerei hinter unserem wohnblock – kein bild davon, das sich mir eingeprägt hätte, von den weißen und weißrosa blüten, nur eindrücke von den früchten, den sauerkirschen, winterapfelsorten, von den graden ihres heranreifens, der reife … Und von den aktionen ausgangs des winters, wenn die stämme der obstbäume eingesprüht wurden, als schutz vor schädlingsbefall, in einer zeit, da die kronen noch kahl – männer sah man dann durchs gelände ziehen, auf dem rücken tornister, als kämen sie von einem anderen stern, man sah sie wandeln im dunst, jenseits des zauns, dieser unverhohlen lückenhaften einfriedung, die uns ein- oder ausgrenzte. Der dunst jedenfalls hob nicht an, durch die lücken auf unser terrain vorzudringen, dennoch hielten wir die fenster geschlossen, beobachtete ich das geschehen durchs glas, und irgendwann hoben sich die nebel auf, ein weiß auf der rinde der bäume hinterlassend, das in der dämmerung schimmerte, jene boten aus der ferne indes waren längst entschwunden …

wenn der Herbst sich ankündigt in der Stimme des Tieres, das seine Herkunft vergessen hat, geboren unter dem Gewölbe brechender Zweige, in Senken voller Moder, Blätterwerg blieb haften an seinem feuchten Leib

so höre ich die Stimme im Wachen, und die Bäume beginnen sich aus dem Geäst ihrer Kronen zurückzuziehen, wenn das allmächtige Blau sich an den Raum verliert, die Kehle mir rauher macht; auch ich habe meine Herkunft vergessen und bewege mich, um nicht zu verstummen

aus Furcht vor dem Bogenschützen im Park, den ich entdecke, jenem Alten, der im Milchlicht seines Nachmittages sich im Kreise auf der Lichtung dreht – er sendet Pfeile aus, trifft mich, ihn muß ich nicht bitten; lieb ist mir dieser Meister, er hat den Schimmel vom Brote geschnitten, das er, mit Honig bestrichen, mir herüberreicht

[aus: Das Geschlecht der Häuser gebar mir fremde Orte, 1989]

als ich am morgen per rad auf dem moritzburger weg den forst durchquerte, das aufblitzen einer zeile: durchschüsse von sonnenlicht, und tatsächlich fand sich im unterholz der eine oder andere winkel, einem erleuchteten innenraum gleich, darinnen gräser und blattwerk … Später dann, in höhe einkaufszentrum, flankiert von einer kette linden, die älter als die bauten ringsum und dies alles überblicken, eine weitere zeile: zählt schneller durch das ausgefällte jahr, ungewiß, ob das als aufforderung zu verstehen – zählt zählt – naheliegend der gedanke an die blätter, die vorzeitig gefallen, und dabei die frage, ob es überhaupt einen begriff dafür gibt …

Seit längerem fesseln mich die Gedichte des Dresdner Lyrikers und Galeristen Uwe Hübner, der sein dichterisches Debüt Anfang der 90er Jahre mit Pinscher und Promenade bei Galrev hatte. Seitdem veröffentlichte er neue Arbeiten lediglich in Zeitschriften und Anthologien. Doch kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß in seinen Schubläden Schätze der Entdeckung harren … Wir haben es hier mit einer nuancierten Großstadtpoesie zu tun, gewürzt mit Sarkasmus, galligem Humor – die Gedichte spiegeln den Alltag auf der Straße wider, reflektieren und kommentieren das Geschehen, das „lyrische Ich“ erscheint dabei als Zeitgenosse, der sich selbstironisch in diese Betrachtungen einbezieht …
Hier ein Beispiel:

Am ersten Januar sieben Uhr übern dicken Brückenprotz

der jetzt wieder den früheren Namen trägt.

Den Sandsteinquadern hat das Hin und Her

oben und unten nicht viel ausgemacht. Es ist fantastisch

mitten in Europa

einen unmöglichen Ort zu kennen.

Ja ja schon klar, auch an der Themse Seine

am Tiber ist es superb.

Zu spät. Zuu spääät: egal.

Allenfalls noch eine Scheune, ein Fliegenstall

irgendwo auf dem Land, die sonst

keine tote Laus haben mag.

Gestern das Licht überaus seltsam. Helle Flecken

zwischen mausgrauen Wasserflatschen, die sich Wolken nennen.

Die Wände sind abgewaschen. Dreck. Dreck. Dreck.

Der Scheitelträger im Restaurant meinte

wenn du immer bloß Dreck räumst

bekommst du es bald in den Windungen.

Also haben es alle in den Windungen

räumen alle immer Dreck. Hosen scheuern

Sphinkter schrubben, Füße ölen.

Plötzlich, vielleicht geriet etwas vorsichtig durcheinander

an meinen werten Erzeuger denken müssen

wie er in seiner Urne bröselt, einszwanzig

unter der Grasnarbe der städtischen Gemeinschaftsanlage.

Vergessen. Langsam weggedriftet. Abgesackt.

Ob er Spaß hatte, als es kleckerte

oder ein physikalischer Bettunfall Innensog

oder Familienpolitik…

So, ich geh jetzt heim. Richtig gehört

ich geh heim.

Tilo Krause erschafft einen Kosmos, in dem sowohl Tiere als auch reale und fiktive Gestalten wie etwa Enzo oder ein gewisser Mönch namens Bittermelone einen Platz haben. Er vermag sich in Naturdinge einzufühlen, sich deren Blickwinkel zu eigen zu machen, sie wesenhaft hervortreten zu lassen und darin auch ein Gespür fürs Vergängliche zu entwickeln – wir folgen den Bewegungen eines Feuersalamanders, berühren dessen knisternden Leib (S. 43) oder beobachten, wie im Dunkeln der kleine Trupp Kerne hockt, auf Licht wartet (S. 38).

Diese Einfühlungsgabe scheint nur folgerichtig, denn Thilo Krauses Dichterleben ist im hohen Maße auch das Leben eines Forschers (als solcher arbeitet er an einem Institut der ETH Zürich, forscht zu intelligenten Energienetzen und zur elektrischen Energieübertragung), und er mag sich hierin gar nicht im Widerspruch zum Erkundungsdrang vermittels des Instrumentariums poetischen Sprechens sehen, auch wenn Erfahrungen aus dem Berufsleben höchstens mittelbar Niederschlag in den Texten finden dürften. Oft holt er die Gegenstände ganz nah heran, beobachtet sie gleichsam unterm Mikroskop der Sprache, die als Präzisionsinstrument zum Einsatz gelangt. Mikroskopisch genau finden sich in den Gedichten zuweilen Mikrokosmen widergespiegelt, und so können wir beispielsweise etwas über das Verhältnis der Bienen zum Wasser erfahren (S. 27) – Indes, bei aller Nähe und naturwissenschaftlichen Objektivität, der Sinn wie das Bewußtsein für Zusammenhänge stehen im Vordergrund, angereichert mit Eindrücken, die das Gefühl unmittelbaren Beteiligtseins, der Gegenwärtigkeit vermitteln, und erst das macht diese poetische Verfahrensweise produktiv.

Das Licht spielt in Krauses Texten eine zentrale Rolle, nicht nur als Licht, in dem die Dinge erscheinen oder unter dem sie betrachtet werden sollten. Es ist ein Licht, das bisweilen knistert (S. 18), im Strauß aus der Brause quillt (S. 76), sich in die Kehle verirrt (S. 21) oder in kleinen Schuppen von der Scheibe abperlt (S. 11). Antithetisch treten Schatten und Nacht in Erscheinung, letztere vorzugsweise schwarz: als ein in die Wand eingelassenes Kistchen Schwarz, gelegentlich mag man ihr auch in Gestalt trotziger (Mohn-) Körnchen begegnen, die sich in Wegritzen verfangen haben, oder im Hinterland, mit dem Schweigen im Maul, das sie von einem Nest ins andere trägt. Und Vorsicht vor den Schatten im Buchengestrüpp, fein wie die Fußangeln der Brombeeren

Wenn dann der Blick über Kiesflächen und Plattenbauten hinweg gleitet, wird ab und an ein Befremden spürbar, ob der zivilisatorischen Monotonie von Stadtrandlandschaften, die in der Inflation von Zeitgenossen in Jogginghosen Ausdruck findet oder in der Vordringlichkeit der Glasscheiben diverser Einkaufszentren, die in blühender Landschaft eher eine Gefährdung darstellen, zumindest für Vögel …

[aus dem Nachwort zu Thilo Krause: Und das ist alles genug. Gedichte. Poetenladen, Leipzig 2012, Band 3 der Reihe Neue Lyrik]

die in der Schulzeit eine wiederholte Übung darstellten, wobei es wohl zumeist die Gemälde Alter Meister waren, die wir zu beobachten hatten, nie Photographien. Derweil mir eine Aufnahme nicht aus dem Kopf gehen will: die Abbildung zeigt einen jüngeren Mann, hinterm verglasten Schalter eines Verkaufswagens hockend – er starrt vor sich ins Leere, wirkt wie weggetreten, vielleicht, weil keine Kundschaft in Aussicht, er es sich leisten kann …

Natürlich die Überlegung, was in seinem Kopfe vorgehen mochte, in diesem Augenblick, da ihn der Photograph festgehalten, was er möglicherweise nicht einmal wahrgenommen. Im Warten gerinnt die Zeit, dachte ich, gleich Blut, das aus einer Wunde ausgetreten – die Zeit scheint uns kein zuverlässiger Taktgeber, weshalb wir sie immer wieder messen, doch von manchen Leuten heißt es, sie hätten ein gutes Zeitgefühl … Der Chef zu seiner Linken, weißbemützt, hebt den Arm, den Blick auf die Schüssel mit Senf gerichtet. Bockwurst m. Br. 0.85 ist auf einem Aufkleber zu lesen, die Regale an der Rückwand bis auf eine Petroleumlampe leer …

Gerhard Gäbler: Fotografien 1978 – 1999. Verlag der Kunst, Dresden 2000. Das Foto trägt den Titel Halle 1989

Erinnerungen an Hombroich, wo ich vor drei Jahren, und was ich da trieb, außer Schreiben, Musikhören, Fahrradfahren … Des Abends, losgelassen von allen Geistern, schaute ich mir erotische Fotos an (nein, nicht auf einer jener Seiten), solche mit ästhetischem Anspruch, von Modefotographen wie Laien – in der Einsamkeit des one-man-house verlor ich mich fast daran, zumindest vier fünf Abende lang, bis es mir zuviel, während Nacht draußen in der Weite schwelgte, oder darüber, unter einem Himmel, der schon allzu viel gesehen und sich in der Dunkelheit selbst zu vergessen drohte, weil vom Blau, von dem ich als Kind einmal annahm, es währte ewig, nichts übrig geblieben. Trieb sich also Nacht herum, draußen, und das eine oder andere Lüftchen, das Schlaf nicht finden mochte, das eine oder andere Nebelfell, dessen Resten ich am Morgen gewahr wurde … Strich ums Haus, das scheinbar dem Kosmos, der Leere abgerungen und Signale aussandte, in den Äther, der doch auch nur betäubte, das ängstige Innen-Ich, das auf jedes Geräusch bedacht, ein Knacken, Rascheln, den Ruf eines Kauzes, in der fortschreitenden Ertaubung des Äthers: nichts (dabei sich im Gelände Fuchs und Hase Gute Nacht sagten). Irgendwann dämmerte das Angst-Ich dahin und schlief besser, je kürzer die Nächte im aufsteigenden Jahr …

Was suchsten da, was gibts denn da zu sehen? Da gibts doch nichts zu sehen!  Mutters Gardinenpredigt, wenn sie die Stores im Wohnzimmer, die mich immer störten, energisch wieder in Ordnung gebracht, und jenseits des Schleiers die von Strauchwerk durchkämmte Ebene, die im Zuge des Braunkohlenabbaus entstanden, nur noch zu erahnen war. Manche hörte ich von der Leere sprechen, oder vom Nichts, von einer seelenlosen Landschaft gar (es stimmt, ein Lebewesen habe ich auf dem Terrain noch nie erblickt), Anderen fehlte jeglicher Begriff …