Archive für den Monat: April, 2014

daß es ein bus älterer bauart sein mußte, war schon an den drei vier stufen zu erkennen, über die man ins innere gelangte, es schien einer jener gelenkbusse, wie sie in der ddr anfangs der siebziger jahren verkehrten, und nahe des zustiegs fand sich eine der zu dieser zeit üblichen zahlboxen, in die man das abgezählte geld steckte und durch betätigung eines hebels den fahrschein zog – natürlich war die box außer betrieb, doch hinter der offenen fahrerkabine entdeckte ich eine noch ältere apparatur, und wer im bus ein ticket lösen wollte, war auf deren benutzung angewiesen: nach münzeinwurf mußte mittels zweier gezahnter räder, auf einer welle lagernd und mit eingeprägten ziffern versehen, der gewünschte tarif eingestellt werden – die ziffern, rot lackiert, glänzten, die fahrgäste im bus schienen sich damit auszukennen, gaben mir ratschläge, indes sollte es mir nicht gelingen, sodaß sich schließlich der fahrer umwandte, bei voller fahrt, und selbst hand anlegte – in diesem augenblick fiel mir ein, nicht die letzte tariferhöhung berücksichtigt, stattdessen einen tarif gewählt zu haben, den es gar nicht mehr gab, ich zählte dem fahrer die fehlenden münzen in die hand … Überhaupt wirkte alles eigenartig, nicht nur das alter dieses busses, dessen inneres abgenutzt, die farbe, ein verschossenes blau – beim einsteigen hatte ich, schon auf der oberen stufe stehend, einer frau mit kinderwagen geholfen und dabei den eindruck, meine mutter vor mir zu haben, grauhaarig, untersetzt; der kinderwagen war leer, und während sie zurückblieb, stellte sich nun eine andere frau als eigentümerin des gefährts heraus, kaum jünger, sicher ebenfalls im rentenalter – ein jeder im bus schien es, oder mochte im moment des zusteigens eine verwandlung erfahren …

im traum sah ich mich als mädchen, das in einen gasthof eingekehrt war und nun auf toilette mußte, die übern hof gelegen, im anbau – die rollen in der kabine fand es aufgebraucht, nur ein streif papier noch, an der pappe haftend, dieses zupfte es ab, um wenigstens notdürftig -, taschentücher hatte es keine, und die tageshelle taugte auch nicht für alles …

da ich gerade nochmal den anfang von hilbigs provisorium lese, jene stelle, wo er sich in münchen aufhält, in der wohnung eines freundes, der auf längerer fahrt, und ihm eines abends schlagartig bewußt wird, hier eigentlich fremd zu sein, in diesem land, in dem er doch schon zwei jahre lebte und seine herkunft beinahe vergessen – ich erinnere mich in diesem moment der eigenen verunsicherung, als ich im oktober ’89 in einem riesigen hotel in frankfurt/m. untergebracht war, gelegentlich der buchmesse, zu der mein verlag mich eingeladen, und mich kaum an den empfangstresen heranwagte, auf den andere so zielstrebig zusteuerten, um ein- oder auszuchecken, nach post zu fragen – ich ließ ihnen den vortritt, jenen, die scheinbar bestens vertraut mit dieser welt und ohne zu zögern an mir vorbei, die bediensteten sofort auf sich aufmerksam zu machen wußten, während ich mich ans ende der theke bewegte, zaghaft, zage … Ich fand das anfangs eine nummer zu groß, zu chic für mich, vertelefonierte auf dem zimmer eine menge geld …

Berlin, berlin, und in einem eisstrom von erinnerung stimmte der bruder die erste strophe jener moritat an (ein vater mit dem sohne ging, radibimmel radibummel …), die in unserer familie allzu oft gesungen worden war und mir heute als ausdruck der lebensmaxime wie politischen zerrissenheit unserer familie erscheint, als ausdruck einer moral, die uns beherrschte, die von der vorbestimmtheit des geschicks, werdegangs ausging und keinen denkraum für alternativen ließ.

Das liedgut unserer großfamilie väterlicherseits – ich erinnere mich der stimmungslieder, die wir anläßlich der familienfeste sangen, lieder, die kaum melodisch, weshalb sie mir verhaßt waren, obgleich ich sie mitsang; was melodie hatte sang mutter an der nähmaschine in der küche … Ab und an erzählte großvater witze aus seiner zeit beim 11. garderegiment (1. weltkrieg) – das fand ich erträglich, weil ihm die zähne schon gezogen worden waren …

warum ich bei der lektüre von hilbigs „einfriedung“ zunächst nur stockend vorankam – der in den text eingepasste traum schien dafür verantwortlich, vielleicht, weil er nicht ursprünglich teil des poetischen verfahrens im vorliegenden text gewesen ist. Traumsequenzen, die in erzähltexte integriert und als solche auch annonciert werden, eignet öfters eine gewisse künstlichkeit, selbst wenn sie nicht erfunden sind. Es mag der ihnen zudiktierten funktionalität und beweiskräftigkeit geschuldet sein (nein, ich spreche träumen per se nicht ab, daß dies ihnen immanent, in subtilerer art, als es jegliche zuschreibung zu leisten vermag, und die künstlichkeit der begriffe hier zeigt, womit wir es zu tun haben), daß sie wie fremdkörper wirken und mich vom grunde der erzählebene und -zeit entheben … Die aufzeichnung des traums selbst stellt dessen innere verletzung dar, aber anders ist er auch nicht zu haben …